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Maschinen anstelle von Tradern?

Grundlagen Trading

Nicht die ganze Arbeit kann an den Computer ausgelagert werden. Doch einen Teil des Portfolios vom Computer bewirtschaften zu lassen, kann sich bezahlt machen. Die praktische Umsetzung eines Tradingsystems ist jedoch nicht ganz einfach. Der folgende Erfahrungsbericht stellt die Erstellung eines systematischen Tradingansatzes für Futures dar, der als Bestandteil eines Long/ Short Equity Hedge Funds praktisch umgesetzt wird.

„Menschliche“ Faktoren beim Traden sind Verstand und Intuition. Im negativen Sinn beeinfl ussen aber auch Emotionen, Selbstüberschätzung und Festhalten an falschen Entscheidungen die Performance des Traders. Technische Handelssysteme eliminieren diese negativen Faktoren und eignen sich daher, um Entscheidungen zu hinterfragen oder um das Portfoliorisiko durch einen technisch gehandelten Anteil insgesamt zu reduzieren.

Beim Handeln von Indexfutures orientieren sich Trader an Korrelationen zu anderen Indizes und Werten. Zum Beispiel soll sich eine steigende Währung negativ auf Exportwerte auswirken, oder teurere Rohstoffe drücken auf die Margen der Industrie, Zinsanstiege verteuern Investitionen etc. Trader achten auf unzählige Korrelationen, wobei jeder Händler ein eigenes Universum an Indikatoren hat. Daraus entwickelt sich oft ein gutes Gefühl für das Verhalten von bestimmten Indizes. Mathematisch betrachtet, läuft im Kopf des Traders ein Multifaktormodell ab, wobei die Anzahl der Faktoren, die ein menschliches Gehirn erfassen kann, beschränkt ist. Genau dasselbe Verhalten lässt sich aber auch auf den Computer übertragen.

Das vorgestellte Modell unterscheidet sich von quantitativen Ansätzen insofern, als dass es nicht auf einzelne Aktienpositionen, sondern ausschliesslich auf vier Aktienindex-Futures ausgerichtet ist. Diese eignen sich besser für ein systematisches Modell, da sie weniger stark von Ereignissen abhängig sind, die einen massiven Kurseinfl uss haben Dabei ist die Auswahl der entscheidenden Faktoren dynamisch und ändert sich täglich.

Grundlagen eines Multifaktormodells

Ein einfaches Multifaktormodell hat die Form:

Index = X1A1 + X2A2+ ... + XnAn + ε

Wobei:
Xn = Faktorgewichtung
An = Faktorwert
ε = Errorterm

Das Ziel eines Multifaktormodells ist es, die Faktoren so zu gewichten, dass der Errorterm so gering wie möglich wird. Je geringer dieser nämlich ist, desto besser kann durch das Modell der Kurs des Index aus den einzelnen Faktoren berechnet werden. Im Kopf des Traders wird die Faktorgewichtung nach Gefühl und Erfahrung und meist unbewusst umgesetzt. Umfragen haben ergeben, dass sich Trader und auch Analysten oft selber überschätzen, wenn sie ihre eigenen Erfolge bewerten sollen. Das deutet darauf hin, dass der Errorterm meist unterschätzt wird.

Mehr Faktoren, kleinere Fehler und keine Emotionen

Im Unterschied zum Menschen kann ein Computer unzählige Faktoren in ein solches Modell einfl ießen lassen, den Errorterm messen und diesen minimieren. Auch stellt die Interaktion der Faktoren für Computer kein Problem dar. Im vorliegenden Modell werden 150 Faktoren aus den Bereichen Makroökonomie, Rohstoffe, Zinsen, verschiedene Indizes, Emerging Markets, technische Analysemodelle und fundamentale Daten sowie proprietäre Methoden verwendet. Damit könnte man basierend auf Vergangenheitsdaten einen Index annähernd perfekt abbilden bzw. dessen Kursverlauf im Nachhinein nahezu vollständig hinsichtlich der Einfl ussfaktoren nachvollziehen.

Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung

Was in der Theorie relativ einfach erscheint, hat in der Praxis jedoch einige Tücken. Denn während der Computer stur und genau das Modell berechnen kann, fehlt es ihm an der Möglichkeit, eine Marktstimmung, exogene Ereignisse oder Nachrichten so zu verarbeiten, wie es ein Mensch kann. Gleichzeitig ändern sich die Einfl ussfaktoren auf Börsenindizes. In panischen Marktreaktionen werden die Indizes vielleicht von einem einzigen Ereignis oder Faktor angetrieben. Zum Beispiel hätte das vorgestellte Modell während der Subprime-Korrektur kaum so gut funktioniert, wären keine Credit-Indices in den Faktoren enthalten gewesen. In „normalen“ Situationen reagieren die Indizes auf eine viel breitere Palette von Einfl üssen. Unter dem Strich muss das Modell deshalb dynamisch sein, sprich, die Faktoren aktiv anpassen können. Und es muss erkennen, in welchen Situationen besser keine Trades aufgegeben werden.

Anstelle einer einfachen Berechnung muss ständig überprüft werden, welche Einfl üsse die Märkte zur Berechnungszeit beherrschen. Das müssen zum einen genügend Faktoren sein, um sicherzustellen, dass sie ein Modell statistisch signifi kant beschreiben können. Gleichzeitig sollen Elemente, die keinen Einfl uss haben oder das Resultat negativ beeinträchtigen, ausgeklammert werden.

Jeder Faktor muss sich rechtfertigen

Der wichtigste Erfolgsfaktor ist, dass die Regression nicht nur innerhalb der Vergangenheitsdaten ein gutes Modell darstellt, sondern auch „out-of-sample“, also ausserhalb der Daten, die man für die Berechnung herangezogen hat. Aus den 150 Faktoren können über 1.045 (bzw. eine 1 mit 45 Nullen) verschiedene Faktor-Kombinationen gewählt werden. Um das beste prädiktive Modell zu fi nden, muss jeder Faktor seinen Informationsgehalt rechtfertigen. Aus den übrig gebliebenen Faktoren (meistens um die zehn) wird dann das beste Modell berechnet, um die Schätzung für die Rendite des betreffenden Index für den nächsten Tag zu berechnen. Für die Renditeschätzung ist es entscheidend, dass die statistischen Modelle zu den real vorhandenen Daten passen.

Faktorgewichtung

Die Faktorgewichtung basiert dabei auf einem proprietären Prozess. Es resultiert ein Modell, das im Backtesting auf einer täglichen Basis zu ca. 55 % die richtige Entscheidung getroffen hat. Wichtig ist hier nicht nur die Anzahl der richtigen Trades, sondern dass die darauf folgende Kursveränderung relativ groß war. Wenn ein System zu 70 % richtig lag, allerdings nur dann, wenn die Kursveränderung klein ist, und bei den großen Schwankungen Verluste macht, ist die Gesamtperformance wesentlich schlechter. Das rechtzeitige Erkennen von großen Bewegungen, also die Ausschöpfbarkeit der Richtungs-Prädiktionen, ist für das Modell deshalb ein Schlüsselpunkt.

Risikomanagement

Lässt man den Computer Trading-Entscheidungen fällen, spielt natürlich das Risikomanagement eine wichtige Rolle. Dieses basiert auf drei Stufen:

1. Erstens muss bei der Berechnung des Signals ausgeschlossen werden, dass qualitativ schlechte Signale in Trades enden. Hier muss das System mittels eines Filters erkennen, wann die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers zu hoch ist, um das Signal umzusetzen.

2. Bei der Berechnung der Anzahl der zu handelnden Kontrakte muss eine Kombination resultieren, welche den Value-at-Risk begrenzt. Dies geschieht zum einen durch die Komposition des Portfolios, zum anderen durch die Berechnung von Stop-Loss- Limits.

3. Bei der Umsetzung schließlich muss sichergestellt werden, dass die richtige Anzahl gehandelt wird und dass die Richtung des Trades (Long oder Short) stimmt.

Des Weiteren ist beim täglichen Einsatz die Anpassung des Marktrisikos von entscheidender Bedeutung. Wichtig ist, dass in Stress- Phasen die Positionen rasch in der Größe angepasst werden, um extreme Verluste zu vermeiden. Andererseits muss auch rechtzeitig wieder die nötige Risikokapazität zur Verfügung gestellt werden, um keine Performance einzubüßen. Das GARCH-Modell hat sich in der Praxis bewährt, um diese Eigenschaften entsprechend zu modellieren.

Optimale Tradingzeit

Das Modell ist so ausgelegt, dass einmal täglich getraded wird und die Positionen dann bis zum nächsten Handelstag um dieselbe Zeit gehalten oder ausgestoppt werden. Zum Traden geeignet ist eine Zeit, in der es keine Verzerrungen gibt. Opening und Closing des Marktes sind damit bereits ausgeschlossen. Gleichzeitig soll für die Skalierbarkeit des Modells ein relativ hohes Volumen in den entsprechenden Futures gehandelt werden. Optimal ist auch, wenn die Trades vom Risikomanager überwacht werden können. Während die praktische Umsetzung auch in der Nacht durch den Computer mühelos umsetzbar ist, kann eine zusätzliche Konfi denz erreicht werden, wenn der Risikomanager die Ausführung aktiv überwachen kann.

Praktische Implementierung

Für eine einfache Umsetzung eignet sich eine elektronische Plattform, die man über ein externes Programm ansteuern kann. Die Positionierung verlangt vier Schritte, die sequentiell ausgeführt werden müssen. Kurz vor dem berechneten Tradingzeitpunkt müssen die Stop-Loss-Orders vom Vortag – falls sie nicht getriggered wurden – gelöscht werden. Zum Tradingzeitpunkt müssen die eineinzelnen Positionen angepasst werden. Das System muss also die Vortagesposition mit den berechneten Positionen für den aktuellen Tag vergleichen und daraus berechnen, welche Trades notwendig sind.

Nach der Übermittlung dieser Trades muss die Ausführung abgewartet werden. Die Ausführungskurse sind wichtig, um die Stop- Losses zu berechnen und diese dann umgehend nachzureichen. Ob die Kalkulation der Trades bestätigt werden muss oder nicht, hängt vom Vertrauen in das Programm ab. Im vorliegenden Fall, muss der Risikomanager noch die Positionsgrösse überprüfen und diese per Mausklick bestätigen. Dies startet eine Routine, welche die Trades zum berechneten Zeitpunkt ausführt, die Stop Losses berechnet und die letzteren dann nachreicht.

Nach einer ausführlichen Testphase kann dieser Zwischenschritt weggelassen werden und das System autonom agieren. Es muss dann aber fähig sein, Unregelmässigkeiten zu erkennen und darauf zu reagieren, zum Beispiel durch das Glattstellen der offenen Futures- Positionen.

Das vorgestellte System wird nach längerer Testphase mittlerweile praktisch umgesetzt. Die letzten Börsenstürme hat es mit einer positiven Performance gut überstanden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass es für europäische Indizes einfacher umzusetzen ist als für US-Indizes. Dies kommt daher, dass in den USA die Märkte noch effi zienter sind und diverse große Hedge Funds ebenfalls mit solchen Modellen handeln. Unterschiedliche Märkte verlangen eben auch unterschiedliche Ansätze. Da sich die Märkte ständig verändern, genügt es nicht, einmal ein Modell zu entwickeln und es dann unverändert handeln zu lassen. Die stetige Verfeinerung und die Erweiterung der Anzahl wählbarer Faktoren sind unabdingbar. Spätestens hier braucht es wieder Intuition und den menschlichen Verstand.

Dieser Artikel stammt aus dem !DERIVATE MAGAZIN.
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